Individuelle Prognose der Wirksamkeit einer therapeutischen Maßnahme durch den prä-therapeutisch angewendeten „kinesiologischen Muskeltest“. Zusammenfassung der Arbeit = Deutsche Version des Artikels Waxenegger et al. in The Scientific World Journal, September 2007
Der enorme Fortschritt der Medizin im letzten Jahrhundert ist u.a. der Anwendung wirksamer Medikationen zu versanken. Die sprunghafte Entwicklung der Arzneimitteltherapie hat für den Arzt die Grenzen des Machbaren bedeutend erweitert. Dennoch kann die Anwendung eines wirksamen Arzneimittels immer auch mit dem Risiko unerwünschter Wirkungen verbunden sein. (1)
Obwohl biologische Wirkstoffe als Medikamente strengen Zulassungsverfahren unterliegen, kann das Ausmaß des Auftretens der vollen Wirkung und von allfälligen Nebenwirkungen, nicht für den einzelnen Menschen prognostiziert werden. Dies liegt daran, dass sich Feldversuche in der Arzneimittelforschung an Normen statistischer Durchschnittswerte einer größeren Bevölkerungsgruppe und deren Kriterien orientieren (müssen). Die Wirkung auf den Einzelnen aber hängt, innerhalb der Streubreite, naturgemäß auch von dessen persönlicher Ausgangslage (Erkrankungsbilder, Typologie, Alter, Geschlecht etc.) ab.
Im Rahmen der allgemeinen, bekannten Wirkung kann der Effekt von Präparaten also individuell verschieden sein, jeder Mensch kann unterschiedlich auf ein bestimmtes Medikament oder eine bestimmte Intervention reagieren.
Auch bei gemäß pharmakologischem State of the Art adäquater Indikation können Pharmazeutika, die dem einen helfen, in anderen Fällen wirkungslos sein oder belastende Wirkungen haben.
Die konventionelle medizinische Befunderhebung entwickelte daher in einigen Fällen prä-therapeutische Testungen, um eine optimale Wirkung zu prognostizieren und Nebenwirkungen zu vermeiden. Beispiele dafür sind das Antibiotika-Antibiogramm (2), die Chemosensitivitätstestung (3) oder auch die prätherapeutische Bestimmung pathogener Onkogene zur Therapie mit monoklonalen Antikörpern (4). Am Beispiel
der Antibiogramme kann allerdings gezeigt werden, dass der Einsatz anamnestischer Testungen praktisch problematisch ist: Das Antibiogramm benötigt Zeitaufwand, der größer ist, als die zu erwartende Antibioselänge. Deshalb wird explorativ-therapeutisch auf „Breitbandeffekt“ indiziert.
Ziel der vorliegenden Studie ist es festzustellen, ob sich auch der so genannte „kinesiologische Muskeltest“ als Methode für die Prognose der Wirksamkeit einer bestimmten therapeutischen Maßnahme eignet.
Die Geschichte der Kinesiologie begann in den Jahren 1964/65 mit den Beobachtungen des Amerikaners George Goodheart (5). Die Methode umfasst diagnostische und therapeutische Aspekte, für die vorliegende Arbeit wurde nur der diagnostische (in diesem Fall: prognostische) Aspekt herausgegriffen. Bis heute hat sich die Kinesiologie als interdisziplinäre Methode verbreitet, die u.a. als funktionelle Untersuchung den so genannten manuellen Muskeltest einsetzt, um abzuschätzen, ob beim Patienten eine und gegebenfalls welche Störung vorliegt und
welche Behandlungsmethode zur Korrektur der Störung am besten geeignet wäre. (6)
Beim in dieser Studie verwendeten manuellen Muskeltest wird die Fähigkeit, eine gebeugte Gelenksstellung beizubehalten, d.h. der Widerstand, den der Proband dem Druck oder Zug des Testers entgegensetzt, vom Tester subjektiv bewertet.
„Schwächende“Einflüsse(z.B.der bloße Kontakt mit einer unzuträglichen chemischen Substanz) sollen diesen Widerstand vermindern können.
Die empirische Studienlage zur Kinesiologie ist nach gängigen wissenschaftlichen Kriterien hingegen uneindeutig. So hat eine Studie zur Nahrungsmittelverträglichkeit (7) nicht zeigen können, dass die Kinesiologie eine valide Methode wäre. In einer weiteren Studie versuchten Kinesiologen, an verschiedenen Personen festzustellen, ob diese in Kontakt mit einer bestimmten Prüfsubstanz oder mit Plazebo waren. Auch hier zeigte sich der Muskeltest als nicht zuverlässig. Hingegen hatte eine Studie, in der die kinesiologische Erhebung mit einem physiologischen Parameter (EKG) sowie mit Laborbefunden aus konventionellen Nahrunsmittel und Medikamentenverträglichkeitstests verglichen wurden, deutliche Übereinstimmungen gezeigt (9).
Im Speziellen wird überprüft, ob eine Senkung des Blutcholesterinspiegels vor Therapie mit Red Yeast Rice (RYR) vorhersagbar ist. Bei RYR handelt es sich um fermentierten Reis, der einen Pilz enthält, den sogenannten Monascus pupureus, welcher aufgrund seiner cholesterinsenkenden Eigenschaften zum Einsatz kommt, in konzentrierter Form.
An der Studie nahmen 11 Personen (n =11, 7 Frauen und 4 Männer zwischen 26 und 78 Jahren) mit erhöhtem Gesamt-Cholesterinwert teil.
Der durchschnittliche Wert betrug 210 mg/dl. (Normalwert: < 200 mg/dl). Es handelte sich um Patienten einer naturheilkundlich ausgerichteten Arztpraxis (W. Surböck, Österreich), deren Routine-Behandlungsverlauf durch die kinesiologische Vorab-Testung ergänzt wurde.
Die eigentliche Behandlung RYR wurde in ärztlicher Verantwortung in Abstimmung mit den Patienten geplant und durchgeführt, die Vorab-Testung (I. Waxenegger) erfolgte freiwillig nach ausführlicher Aufklärung. Die Bestimmung der Cholesterinwerte vor und nach der Therapie wurde vom Laboratorium Dostal, Wien durchgeführt.
Die Probanden nahmen über einen Zeitraum von 8 Wochen täglich 2 x 2 Kapseln des Präparates RYR-Extrakt zu je 500 mg zu sich.
Der kinesiologische Muskeltest wurde vor Beginn der Therapie eingesetzt, wobei der Musculus brachioradialis als Indikatormuskel diente (Referenz!). Dabei wird der Arm in die entsprechende Test-Position gebracht und der liegende Proband wird aufgefordert, diese zu halten, wobei der Tester einen leichten und langsam zunehmenden Druck ausübt. Im eigentlichen Test wird der Proband mit der zu bewertenden Substanz in Kontakt gebracht, im vorliegenden Fall wurde eine Kapsel RYR 2 cm oberhalb des Bauchnabels in Hautkontakt gebracht. Der einschlägig geschulte Tester bewertet nun, ob der Muskel in der Lage ist, dem Druck standzuhalten oder ob bzw. wann er nachgibt. Die diesbezügliche Annahme der Kinesiologie lautet, dass die Widerstandsstärke des Muskels mit dem zu erwartenden therapeutischen Effekt der Substanz positiv korreliert ist.
Die Fähigkeit des Muskels, dem Druck des Testers Widerstand zu bieten, wurde vom Tester auf einer subjektiven Skala (0-100 %) in Zehnerschritten angegeben.
Die Werte wurden dokumentiert (I. Waxenegger) und hinterlegt, ohne dass der Arzt oder die Patienten von ihnen Kenntnis gehabt hätte. Erst nach Abschluss der RYR-Therapie und Vorliegen der Blutlaborwerte wurden die Ergebnisse der kinesiologischen Vorabtestung bekannt gegeben.
Für die globale Bewertung der Wirksamkeit der RYR-Therapie wurde die Veränderung des Gesamt-Cholesterins herangezogen.
Die statistische Auswertung erfolgte mittels Korrelationsanalyse nach Pearson zwischen 4 Variablen, nämlich den Werten der Blutlabormessung sowie der kinesiologischen Vorabtestung:
Die vorliegende Pilotuntersuchung hat an einer relativ kleinen Stichprobe gezeigt, dass die Wirksamkeit der therapeutischen Maßnahme, bezogen auf den Gesamt-Blutcholesterinwert durch den kinesiologischen Muskeltest vorhersagbar war.
Abbildung 1 zeigt die Mittelwerte der Cholesterinmessung vor und nach der Therapie.
Da es einen signifikanten Unterschied zwischen den Gesamtcholesterinwerten vor und nach der eigentlichen RYR-Therapie gab, war auch die Auswertung der Ergebnisse der kinesiologischen Vorab-Testung der Wirksamkeit des verwendeten Präparates sinnvoll.
Tabelle 1 zeigt die Korrelation zwischen den Werten der Blutlabormessungen (Gesamtcholesterin) und der kinesiologischen Vorab-Testung.
Der individuelle Cholesterin-Ausgangswert hat keinen Einfluss auf die Prognostizierbarkeit der Wirksamkeit.
In der vorliegenden Pilotstudie sollte festgestellt werden, ob sich der sogenannte kinesiologische Muskeltest als Methode für die Prognose der Wirksamkeit der hier verwendeten therapeutischen Maßnahmen eignet. Dabei zeigte sich, dass der tatsächliche Effekt der Intervention mit der Vorab-Einschätzung durch den kinesiologischen Muskeltest mit statistischer Signifikanz korreliert war. Das Ausmaß des Auftretens der Wirkung und von Nebenwirkungen von Arzneimitteln etc. sind für den einzelnen Menschen üblicherweise nicht individuell prognostizierbar.
Daher könnte der kinesiologische Muskeltest zur Optimierung der Auswahl und des Einsatzes von therapeutischen, adjuvanten und präventiven Maßnahmen Bedeutung haben. Dabei müsste natürlich sichergestellt sein, dass der
entsprechend ausgebildete und qualifizierte Tester stets im Rahmen medizinisch verbindlicher Richtlinien handelt. Keinesfalls sollte eine nach medizinischen Kriterien notwendige Intervention aufgrund einer derartigen prä-therapeutischen Testung vernachlässigt werden.
Um das in dieser Pilotstudie nur angerissene Gebiet näher zu beforschen, wäre aus Sicht der Autoren ihre Fortsetzung mit einer größeren Probandenzahl sowie unter Einbeziehung mehrerer unabhängiger kinesiologischer Tester notwendig. Dabei sollten die untersuchten konventionellen Parameter differenziert werden:
Zur Beurteilung der Wirksamkeit sollten neben dem Gesamt-Cholesterin zumindest auch die HDL- und LDL-Fraktionen berücksichtigt werden. Schließlich wäre es wichtig, die prä-therapeutische Testung ggf. auch für konventionelle Pharmazeutika zu standardisieren.
Die vorliegende Arbeit wurde im Rahmen des Master-Fernlehrganges für Komplementäre Gesundheitswissenschaften (www.inter-uni.net) am Interuniversitären Kolleg erstellt.
Dieser Artikel erschien in unserem Impuls-Magazin erstmals in der Ausgabe Nr. 23 aus dem Jahre 2010.
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